2 Meter Abstand

Der Entschleuniger:
Enrico Bizzaro

Enrico Bizzaro

Kürzlich sorgte er mit seinem selbstironischen Selbsthaarschnitt-Video für Aufregung. Im Interview erklärt der Berner Coiffeur Enrico Bizarro wieso er den Mut nicht verliert und warum die derzeit entschleunigende Phase für uns Menschen eine Chance sein kann.

Wie hast die Ausbreitung des Corona-Virus erlebt?
«Schleichend. Bis zum Lockdown verlief alles ganz normal. Dann musste ich plötzlich von einem Moment auf den andern auf Ferienbetreib umstellen.»

Was bedeutet der Lockdown für dich?
«Kommt drauf an, wie lange das dauert. Momentan ist es einfach eine Pause. Ein bisschen Reserve habe ich mir in den letzten 12 Jahren hart erarbeitet.»

Wie stark trifft dich die Regel «2 Meter Abstand»?
«Ich fühle mich zurzeit ein bisschen einsam. Ich bin mir einfach gewohnt, Leute, die mir wichtig sind zu umarmen. Jetzt ist alles anders. Aber es ist eine spannende Zeit, weil sich die Menschen wieder mal mit sich selbst beschäftigen müssen und nicht einfach mit allem Möglichen ablenken können.»

Bist du eher ein Pessimist oder ein Optimist?
«Ich sehe überhaupt nicht schwarz und fürchte mich vor nichts in dieser Situation. Im Gegenteil: Ich finde es sogar eine bereichernde Zeit. Die Menschen sind wieder dankbar für Kleinigkeiten, Abläufe werden hinterfragt und die Natur verändert sich. Es nützt sowieso nichts, wenn wir zu negativ denken.»

Wie bist du auf die Idee mit dem Selbsthaarschnitt-Video gekommen?
«Viele Kunden haben mir geschrieben und gefragt, was sie mit ihren Haaren machen sollen. Mein Video war eher eine Parodie auf alle Online-Fitness-Videos und andere derzeitige Online-Angebote. Die Haare werden in nächster Zeit weltweit bei allen Menschen wachsen – vielleicht ergibt das ja einen neuen Modetrend…?»

Enrico Bizzaro zeigt, wie man sich einen Haarschnitt verpasst

Die Coiffeure triffts ja momentan besonders hart – und dies in einem bereits schwierigen Markt.
«Es kommt auf das Umfeld an. Ich kaufe meine Lebensmittel ja auch wenn’s geht im Lädeli gleich um die Ecke. Beruflich lege ich Wert auf Qualität und das wird wertgeschätzt. Darum fühle ich mich auch nicht besonders bedroht.»

Was hast du in Bezug auf Solidarität erlebt?
«Ich finde, dass sich die Leute zurzeit mit sehr viel Respekt begegnen. Sie halten Abstand, kaufen füreinander ein und sind für einander da. Die Empathie in der Bevölkerung ist gewachsen – das stimmt mich zuversichtlich.»

Was müssen wir tun, damit dies auch nach Beendigung der Krise so bleibt?
«Wir befinden uns im Überlebensmodus. Ich bin überzeugt: Die positiven Erlebnisse verankern sich in der Seele der Menschen. Es wird weniger Ellbogenkämpfe geben. Und es findet eine allgemeine Entschleunigung statt.»

Hast du bereits neue Kreationen und Angebote entwickelt?
«Nein, ich gebe mir jetzt einfach mal der Situation hin und nehme mir bewusst Zeit zum Durchatmen. Ich geniesse die Natur und pausiere. Und ich engagiere ich mit für Dinge, die nicht auf Profit basieren.»

Was passiert, wenn es in der Schweiz vom einen Tag auf den anderen wieder losgeht?
«Auf diesen Zeitpunkt bin ich sehr gespannt. Ich werde nicht versuchen, etwas nachzuholen und keinesfalls in alte Muster zurückzufallen – sonst hätte ich ja nichts dazugelernt.»

Letzte Frage

Was war dein schönstes Erlebnis in den letzten Tagen?

«Kürzlich auf dem Velo flog ein kleiner Vogel während einer halben Minute einfach so neben mir her. Ich schaute ihm in die Augen und bildete mir ein, dass wir ab sofort in die gleiche Richtung fliegen…»