Der Ermittler:
Peter Düggeli

Washington – Mit etwas mehr als 2m Abstand berichtet der Bündner SRF-Korrespondent Peter Düggeli aus den USA. Er erzählt von seiner geplanten Expedition in die texanische Fracking-Hochburg Midland, von einem Ausflug in einen afro-amerikanischen Stadtteil Washingtons, wo das Corona-Virus besonders wütet und nicht zuletzt, warum die Amerikaner (zu) spät auf die Pandemie reagierten. Jetzt aber geben wir zu Peter Düggeli nach Washington.
«Im Vergleich zur Schweiz erleben wir das Virus hier mit einer Verzögerung von zwei bis drei Wochen. Der Unterschied von Staat zu Staat ist massiv. Hier in Washington DC ist seit gut eineinhalb Monaten alles geschlossen. Man darf nur für essentielle Dinge wie Einkaufen und erlaubte Freizeitaktivitäten nach draussen. Die Ungeduld, das Land wieder zu öffnen ist teilweise riesig. Obwohl die Fallzahlen noch steigen, haben einige Bundesstaaten schon Lockerungen erlaubt. Wenn das nur gut kommt…»
«Teilweise haben die Medien am Anfang völlig unterschiedlich über die Gefahr des Virus berichtet. Dazu kamen widersprüchliche Aussagen aus dem Weissen Haus. Das hat die Menschen verunsichert. Seit es richtig eskaliert ist und täglich bis zu 2'000 Menschen sterben, werden Einzelschicksale medial sehr emotional ausgebreitet. Verstorbene werden heroisiert und viele so genannte Witwen-Schüttler-Stories publiziert. Das macht die Krise einerseits real, verängstigt die Menschen aber übermässig. Auch das ein Grund, warum ich Amerikaner in Gesundheitsfragen als viel paranoider empfinde als Schweizer.»
«In Washington sind 80 Prozent der Corona-Toten schwarz.»
«Kürzlich war ich in einem Stadtteil von Washington mit grossem Anteil Afro-Amerikaner. Die Menschen sind in grosser Sorge, in Washington sind 80 Prozent der Corona-Toten schwarz. Es ist meine Pflicht, das aufzuzeigen und herauszufinden, woran das liegt. Die Ungleichheit in der Gesellschaft akzentuiert sich in der Krise massiv. Social Distancing ist für viele ein Privileg – für andere ein Ding der Unmöglichkeit. Viele Menschen, die für ihre Arbeit das Haus verlassen müssen sind schwarz. Metrofahrer, Kassiererinnen oder Fedex-Mitarbeitende beispielsweise können sich gar nicht oder mehr schlecht als recht schützen.»
«Für mich persönlich sind die Einschränkungen momentan kein grosses Problem. Ich sage oft augenzwinkernd, dass ich Social Distancing schon lange praktiziere. Ich muss nicht möglichst viele Menschen um mich herum haben, um glücklich zu sein. Schon damals als Unihockey-Trainer beim Grashopperclub Zürich wunderte ich mich, warum sich alle Spieler bei jedem Training immer per Handschlag begrüssten. Das war mir völlig fremd. In Washington vermisse ich höchstens den Besuch der Eishockey-Spiele der Washington Capitals oder ein Nachtessen auswärts mit meiner Frau. Dass einige berufliche Veranstaltungen oder Einladungen ins Wasser fallen, damit kann ich hingegen leben… »
«In der Stadt herrscht momentan tote Hose. Einige Strassen sind autofrei und nur für Jogger und Radfahrer zugänglich. So ist genügend Platz vorhanden, um sozial distanziert zu schwitzen. Für mich persönlich funktioniert das Arbeiten noch relativ gut. Ich mache viele Interviews über Skype. Experten und Politikern sind zurzeit gut verfügbar, das ist praktisch. Wenn ich aber für eine Story zum rekordtiefen Ölpreis nach Texas fliegen möchte, ist dies nicht so einfach. Denn wenn es dumm geht, stecke ich plötzlich zwei Wochen in einem Hotel in einer Quarantänefest. Das muss wohl überlegt und gut geplant sein.»

«Präsident Trump und seine Administration haben zu spät auf das Virus reagiert. Er wollte erst nicht recht glauben, dass sich es so rasch und gefährlich ausbreiten würde. Ich habe mit Wissenschaftlern gesprochen, die ihn wie ein kleines Kind an der Hand nehmen und ihm das Problem Corona-Virus mit viel Geduld erklären mussten. Er war der Meinung, dass man es aussitzen könne. Jetzt delegiert er die Verantwortung an die Bundesstaaten – sollte es schief gehen, kann er am Ende sagen, dass er nicht dafür verantwortlich gemacht werden könne. Man muss aber auch sagen, dass die Regierung zum Beispiel bei der Errichtung von Notspitälern im ganzen Land schnell geholfen hat. Und zusammen mit dem Kongress wurden mehrere Rettungspakete verabschiedet, die den Menschen in Not helfen und den Wirtschaftskollaps verhindert haben. Da hat es auch viel Gutes dabei.


«Dass Trump von vielen Wählern immer noch gestützt wird, hat damit zu tun, dass er wichtige Wahlversprechen eingehalten hat. Ich wehre mich sehr dagegen, dass man die US-Bürgerinnen und -Bürger generell als naiv betitelt. Es gibt viele Frustrierte, die Trump gewählt haben. Und die Demokraten haben ihnen in den letzten dreissig Jahren zu wenig geholfen. Auch weite Teile der Wirtschaft stehen nach wie vor hinter dem Präsidenten. Die Corona-Krise könnte ihm schon zusetzen, weil er sich teilweise unmöglich verhalten hat. Aber abgerechnet wird erst im Herbst.»
«Der Lockdown bringt für mich auch positive Dinge mit sich. Ich habe mehr Zeit für meine Familie, bin viel weniger unterwegs und erlebe die Entwicklung der Kids hautnah mit. Manchmal bin ich für eine Reportage 10 Tage am Stück weg – das ist zurzeit komplett anders. Ich denke, dass wir auch mittel- bis langfristig mit Einschränkungen leben müssen. Erst mit einer Impfung werden wir zu einer gewissen Normalität zurückkehren, wie wir sie vor der Corona-Krise kannten.»
Letzte Frage
Amerika zeigt sich ja immer besonders solidarisch in Krisensituationen – gibt es dafür ein gutes Beispiel?
«Die Amerikaner sind seit jeher krisenerprobt. 9/11, massive Wirtschaftskrisen, zahlreiche Kriege – in der Schweiz kennen wir das viel weniger. In den USA wissen alle, wie schnell viele in einer Krise plötzlich nichts mehr haben. Keinen Job, keine Krankenkasse, kein Geld. 30 Millionen haben bis jetzt schon Arbeitslosengelder beantragt. Die Sozialprogramme des Staates sind im Vergleich zur Schweiz viel weniger ausgebaut. Deshalb ist die Solidarität der Menschen untereinander so wichtig. Sie ist Teil der amerikanischen DNA. Man hilft einfach. Seit die Schulen geschlossen sind, liefern zahlreiche Hilfsorganisationen Essen für Kinder aus ärmeren Verhältnissen, die normalerweise in der Schule gratis verpflegt werden. Schon am ersten Tag des Lockdowns trafen wir Lehrerinnen und Lehrer, die tatkräftig mithelfen. Die Corona-Krise ist in den reichen USA für viele auch eine Hungerkrise. Unglaublich, nicht?»