Der Macher:
Micha Zbinden
2m-abstand.ch: Als Micha Zbinden seinen Vater Urs Frieden als kleiner Bub durchs Bundeshaus begleiten durfte und die angeschriebenen Fächli der Bundeshausjournalisten sah, wurde ihm klar: er wollte eines Tages auch so eines – am liebsten in einer Sportredaktion. Heute ist der 42-jährige Berner Chefredaktor des aufstrebenden News-Online-Portals Nau.ch.
Kestenholz SO, Mai 1993
Micha Zbinden galt einst als grosses Fussballtalent. Er spielte mit seinen BSC Young Boys im U16-Meisterschaftsfinal. Die Teenager traten gegen die gleichaltrigen Inter B-Junioren des FC Luzern an. In der 85. Minute stand es unentschieden 3:3. Ein YB-Spieler musste verletzungshalber ausserhalb des Spielfelds behandelt werden und fehlte dementsprechend auf dem Platz. Luzern reagierte prompt und schoss das 4:3. Torschütze: der heutige YB-Trainer Gerardo Seoane. Für Micha Zbinden brach damals eine Welt zusammen. «Das war die grösste Niederlage meines Lebens.» Zbinden nervt sich noch heute darüber. Bald darauf beendete er den Traum, Fussballprofi zu werden. «Einerseits kämpfte ich mit einer hartnäckigen Bänderverletzung – und ganz ehrlich, der Ausgang und die Kollegen waren damals plötzlich wichtiger für mich. Und beides geht halt nicht.»
Redaktion Berner Zeitung, November 1997
Seinen Einstieg in den Journalismus verdankte Micha Zbinden dem damaligen BZ-Sportchef Christoph Sterchi. «Ich war 20 und arbeitete als kaufmännischer Angestellter auf der Sportredaktion. Ich kümmerte mich um Akkreditierungen und kopierte Dokumente. Als Goodie durfte ich an den Redaktionssitzungen teilnehmen. Und schlug eine Champions-League-Kolumne mit dem ehemaligen YB-Spieler Mini Jakobsen vor – dieser spielte damals wieder in seiner Heimat Norwegen gegen Real Madrid und versprach mir, im Fall eines Tores gegen das weisse Ballett, seinen legendären Salto den YB-Fans zu widmen. Die Idee fand gefallen und plötzlich durfte ich die Kolumne auch gleich selbst im Namen von Jakobsen schreiben. Das gab mir das notwendige Selbstvertrauen und war der Anfang meiner journalistischen Karriere.»
SRF Sportredaktion, Januar 2006
Micha Zbinden arbeitete mittlerweile beim Schweizer Fernsehen. Und plötzlich hatte er es: das Kästli in der Sportredaktion, das er sich schon als Kind wünschte – und erst noch neben Fernsehlegenden wie Beni Thurnheer oder Matthias Hüppi. «Ich hatte mein Leben lang nichts Lieberes gemacht, als möglichst alle Sportsendungen zu schauen, und plötzlich war ich auf gleicher Höhe wie diese Legenden – zumindest was das Kästli angeht…» Kurz darauf fuhr Zbinden mit Beni Thurnheer nach Turin: Die Olympischen Winterspiele standen auf dem Programm. Und Thurnheer wollte unbedingt etwas Kreatives lancieren – einen Olympia-Spruch des Tages. «Ich kümmerte mich darum. Beni schlug täglich neue Mottos vor. Er gab sich aber nicht so schnell damit zufrieden und rief mich sicher mindestens 20 mal pro Tag an, weil ihm immer noch etwas Besseres in den Sinn kam. Da habe ich gelernt, was es heisst zu beissen und sich immer und immer wieder zu verbessern», erinnert sich der heutige Nau.ch-Chef.
Bern-Liebefeld, Oktober 2017
Nau oder never, sagte sich Micha Zbinden, als er das Angebot bekam, bei Nau.ch ein neues Online-Portal aufzubauen. «Es kam zum richtigen Zeitpunkt. Nach zehn Jahren Blick Sport, zuletzt als Stv. Chefredaktor, hatte ich den richtigen Rucksack, mit 40 Jahren das richtige Alter und ich konnte meine Mitstreiter selbst bestimmen. Wir mussten innert drei Monaten 50 Leute anstellen. Ich habe keine Sekunde daran gezweifelt, dass es nicht gut kommen würde.» Die ersten zwei Jahre waren knüppelhart. Zbinden weiss genau: Es klatscht niemand, wenn ein neuer Player auf dem Markt erscheint. Und die Konkurrenz ist gross. «Aber unser Erfolgsrezept greift. Wir wissen zwar immer, in welche Richtung wir uns bewegen, aber wir probieren stets neue Sachen aus und können flexibel unseren Kurs verändern. Wir haben Mut und sind bereit, alles auf den Kopf zu stellen, wenn wir sehen, dass wir uns auf dem Holzweg befinden. So zu führen, braucht viel Energie.» Der Chefredaktor weiss aber auch, dass es ein grossartiges Team braucht, um Grosses zu erreichen. «Unsere Leute müssen bereit sein, durchs Feuer zu gehen.» Der Aufwand scheint sich gelohnt zu haben. Nau.ch ist innert zweieinhalb Jahren mit monatlich weit über drei Millionen Lesern zur Nummer 5 unter den Schweizer Online-Portalen geworden – noch vor den bewährten Mitbewerbern wie zum Beispiel Watson oder Tagesanzeiger.
Nau-Redaktion, Juni 2020
Das Corona-Virus machte auch vor dem News-Portal nicht Halt. Auch wenn Nau.ch gegenüber der Zeit vor Corona nun über ein Million neue Leser erreicht, stehen für Chefredaktor Micha Zbinden die negativen Aspekte im Vordergrund: «Das Coronavirus ist für mich nur Fluch. Wir hätten die Leserzahlen auch sonst gesteigert, einfach verzögert.» Immerhin kamen die Nau.ch-Verantwortlichen bereits nach sechs Wochen wieder aus der Kurzarbeit heraus. Micha Zbinden freute sich in erster Line über die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des gesamten Teams. «Wenn man von einem Tag auf den anderen über 50 Leute ins Home Office verfrachten muss, zeigt sich, ob eine Redaktion funktioniert oder nicht. Dass alles so gut geklappt hat, ist alles andere als selbstverständlich und zeigt, dass wir mittlerweile super organisiert sind», so Zbinden.
Restaurant Schichtwechsel, Liebefeld – August 2020
Micha Zbindens Augen leuchten, wenn er erzählt, was eine gute Geschichte ist. Seine Stellvertreterin Angelika Meier kommt per Zufall vorbei und erzählt von einem Primeur – einer Exklusiv-Story, die sie gerade auf der Redaktion entwickelten. Zbinden ist Feuer und Flamme, freut sich wie ein kleines Kind. «Ich brauche den täglichen Kick, ich bin ein Adrenalin-Junkie und liebe das schnelle Erfolgserlebnis.» Und dann erzählt er eine Story, wie er selbst Hand anlegte, um ein kurzes Video zu drehen und eine kleine eigentlich unbedeutende Story zu bringen und sich anschliessend darüber freute. «Ich war in meiner Karriere immer bereit, die Extrameile zu gehen – schön, wenn man dafür belohnt wird», erklärt er.
Letzte Frage
Warum hat der Journalismus noch Zukunft?
«Die Corona-Zeit ist der beste Beweis dafür, dass die Menschen nach Information lechzen und immer das Neuste erfahren wollen. Umso wichtiger ist es, dass wir seriös über eine Sache berichten. Und Fakt ist leider: Die negativen Stories ziehen immer noch besser als die positiven. Das hat damit zu tun, dass von den 60 000 Gedanken, die ein Mensch täglich hat, nur wenige von positiver Natur sind. Viele freuen sich darüber, wenn es anderen noch schlechter geht. Ich gehöre definitiv nicht dazu.»