Der Unbeugsame:
Klaus Zaugg
2m-abstand.ch: Klaus Zaugg ist ein Aushängeschild des Schweizer Sportjournalismus. Niemand in der Schweiz kennt das Eishockey-Business besser als der Emmentaler, der es als Agent Provocateur immer wieder wagt, unbequeme Fragen zu stellen. 2m-abstand hat nun das Blatt gewendet und nimmt den Mann aus Auswil in die Zange.
Chlöisu, was wolltest du werden, als du noch ein Junge warst?
«Nichts Konkretes – ich bin einfach geworden, was ich bin und hatte keinen bestimmten Plan.»
Hast du schon als Bub kein Blatt vor den Mund genommen?
«Ja, das brachte mich auch dementsprechend in der Schulzeit in Schwierigkeiten… »
Wie lernt man, dass man zuerst auf sich selbst und erst dann auf andere hört?
«Das bringt einem das Leben bei, das kann man nicht lernen.»
Wie hast du es geschafft, kompromisslosen Journalismus zu betreiben?
«Das ist meine DNA. Ich bin aber nicht kompromisslos, denn ohne Kompromisse kommt niemand durchs Leben.»
Wie wird man zum Schweizer Hockeypapst?
«Das sagen andere, nicht ich…»
Und warum?
«In meinem Job geht es hauptsächlich um drei Sachen: Ich muss mit den Leuten reden können, ihnen zuhören und dabei das Wesentliche erfassen. Danach versuche ich das Ganze einzuordnen und so zu erzählen, dass es die Leute gerne lesen. Noch eine Anmerkung zum Papst: für ihn gilt das Unfehlbarkeitsdogma. Alles was der Papst sagt, ist also per Definition richtig, er ist unfehlbar und Zweifel sind nicht erlaubt. Für mich gibt es kein Unfehlbarkeitsdogma… »
Wie hast du gelernt mit Niederlagen umzugehen?
«Auch das kann man nicht einfach so lernen. Bei Niederlagen ist das Wichtigste, einzusehen, dass man verloren hat, daraus die Konsequenzen zu ziehen und die Sache abzuhaken, ohne dass Wunden offenbleiben oder sich daraus negative Energien entwickeln.»
Wer ist die grösste Persönlichkeit, die du jemals interviewt hast?
«Wayne Rainey – ein dreifacher Weltmeister in der 500 cm3-Klasse der Motorrad-Weltmeisterschaft. Nach einem schweren Sturz beim Grossen Preis von Italien in Misano im September 1993 war er querschnittgelähmt. Ich durfte ihn als erster bei ihm zuhause interviewen. Ich war unsicher, wie ich ihm begegnen, welche Fragen ich stellen sollte. Und ich traf auf einen völlig gefassten, starken Mann, der sein Schicksal akzeptiert hatte. Ich werde diese Begegnung nie mehr vergessen.»
Wer war dein langweiligster Interviewpartner?
«Mit grossem Abstand der ehemalige SCB-Verwaltungsrat und aktuelle Verbandspräsident des Schweizerischen Eishockeyverbands, Michael Rindlisbacher: Eine Karikatur der heutigen Sportfunktionäre. Er liefert nur vorhersehbare Antworten, zeigt Null Spontanität und Mut zu einer eigenen Meinung. Er ist auf eine liebenswürdige Art und Weise der ungekrönte König der Langweiler und Opportunisten.»
Was war das Spiel deines Lebens?
«Die Finalserie des Canada Cups 1987 – drei Spiele, die alle 6:5 endeten. Am Ende siegten die Kanadier.»
Welches war das Sportereignis deines Lebens?
«Der Schlussgang des Eidgenössischen Schwingfests 1989 in Stans. Adrian Käser, damals 18 Jahre alt, hatte noch nie ein wichtiges Fest gewonnen und war im Schlussgang gegen den himmelhohen Favoriten Geni Hasler eigentlich völlig chancenlos. Die Art und Weise, wie der Titan versagte, wie der junge Aussenseiter seine Chance nützte und der jüngste König der Geschichte wurde, die Dramatik dieses Kampfes bei glühender August-Hitze übertrifft alles, was ich sonst im Sport bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften erlebt habe.»
Wieso liebst du es zu provozieren?
«Es ist nicht primär die Lust zu provozieren, sondern die Lust, etwas auf den Punkt zu bringen. Das ist heute nur noch im Sport möglich ohne Gefahr zu laufen, mit beiden Füssen ins Minenfeld der Political Correctness zu geraten.»
Wie gehst du mit persönlicher Kritik um?
«Ich habe gelernt, damit umzugehen und daraus zu lernen. Kritik sollte man nie ignorieren. Ich sehe die Kritik auch nicht als Angriff auf mein persönliches Ego – das ist das Wichtigste.»
Welches ist die beste Frage, die du jemals gestellt hast?
«Im Rahmen der Berichterstattung über den GP von Italien in Misano Ende der 1980er Jahre. Wayne Gardner, damals einer der ganz grossen Stars, steckte in einer Krise. Die italienischen Journalisten flüsterten hinter vorgehaltener Hand, seine Frau habe ein Verhältnis mit dem Mechaniker von Anton Mang und ich wusste, dass es stimmte. Im Rahmen der ordentlichen Medienkonferenz fragte ich Wayne Gardner in meinem jugendlichen Übermut, was er eigentlich von diesem Gerücht halte…das Theater, das folgte, fand später sogar Eingang in einen Roman.»
Was ist das Lustigste oder Skurilste, das du jemals erlebt hast?
«Bei einem Eishockeyspiel Ende der 1980er-Jahre wurde Gabriel Weber, Vorstandsmitglied des EHC Kloten, von einem Zürcher Lokalradioreporter auf der Medientribüne nach seiner Meinung zum Spiel befragt. Es war eine sehr, sehr emotionale Partie gewesen, es hatte so richtig gerockt. Weber sagte sinngemäss, es sei unerhört, wie unfair und unanständig dieses Publikum sei. Ein in der oberen Reihe sitzender, für sein Temperament berühmter Gottéron-Journalist verpasste ihm ob diesen Worten einen Fausthieb. Weber, ein fast zwei Meter grosser ehemaliger Verteidiger, ein Titan, erhob sich, packte den Angreifer und dabei flog der Computer des interviewenden Reporters die Tribüne hinunter und zerbracht in zwei Teile. Aus dieser Situation heraus entwickelte sich eine Massenschlägerei, an der sich mehr als zehn Personen – Journalisten, Funktionäre, Sicherheitsleute – beteiligten. Das war halt noch die «Belle Epoque» der Sportberichterstattung.»
Kann man den heutigen Journalisten noch vertrauen?
«Den meisten Journalisten schon, aber leider nicht mehr allen Chefredaktoren und Verlegern.»
Das musst du uns erklären.
«Zu viele Verleger und Chefredaktoren sind bis auf Knochen korrumpiert. Früher gab es eine Brandmauer zwischen dem Chefredaktor und der Werbeabteilung, Verleger und Chefredaktoren waren stolz auf die Unbeeinflussbarkeit der Redaktion. Diese Brandmauern sind niedergerissen worden und die Chefredaktoren sind primär an der Einhaltung des Budgets interessiert, um sich die Bonuszahlungen zu sichern. Bei einigen habe ich den Eindruck, dass sie nicht mehr mal lesen, was in ihren Medien geschrieben wird. Ich habe das Glück, dass ich heute noch für integre Verleger und Chefredakteure arbeiten darf.»
Was hat das Corona-Virus bei dir ausgelöst?
«Einerseits hat mir Corona eine Pause verschafft, die ich sonst nie erhalten hätte. Andererseits zeigt uns Corona die Grenzen auf. Wir sind nicht unverwundbar und allmächtig. Das Virus hat etwas Unheimliches, sogar etwas Apokalyptisches, lehrt uns Demut und zeigt, dass das, was heute undenkbar ist, morgen schon Wirklichkeit werden kann.»
Wie hast du dich in den letzten Wochen verhalten?
«Ich habe das grosse Glück, dass ich in einem eigenen Haus auf dem Land lebe. Meine Lebensqualität ist nur in sehr geringem Masse eingeschränkt worden. Zu den Corona-Massnahmen habe ich die gleiche Einstellung wie einst im Militär: Mach einfach, was angeordnet wird und hinterfrage nicht alles – wir können es ja sowieso nicht ändern und es wird schon seinen Sinn haben.»
Was ist die Alternative, wenn es keine Live-Sport-Anlässe mehr gibt?
«Dann würde der Sport in einem Stadion unter Ausschluss der Öffentlichkeit wie ein Film in einem Hollywood-Studio gefilmt und über die modernen Kommunikationskanäle vertrieben wie Filme und TV-Serien. Der Sport würde zu einem reinen TV-Produkt.»
Wie lange möchtest du deinen Job noch machen?
«So lange es meine Gesundheit zulässt und mir jemand Aufträge gibt.»
Letzte Frage
Über welches Ereignis würdest du noch gerne mal berichten?
«Die Super-Bowl, das würde ich gerne mal von vorne bis hinten erleben, inklusive dem gesamten Spektakel im Vorfeld.»