Der Wandelbare:
Adi Küpfer
2m-abstand.ch: Wie wechselt man von einem Moment auf den anderen vom digitalen Ruck, der durch die Kirche geht über Erektionsstörungen zu Zwetschgenkuchen nach Grossmuetis Rezept? Einer, der es wissen muss ist Radio SRF 1-Moderator Adi Küpfer, der in diesen Tagen nicht nur durch Themen gondelt sondern auch fast täglich von Bern nach Zürich pendelt. Ein Tagesbericht.
Montag, Bern 5.30 Uhr
«Wenn ich erwache, wickle ich meine Morgenrituale wie im Schlaf ab. Duschen, Zmorge, Tram und ab in den Zug. Jetzt kommt der Tag ins Rollen. Ich lasse mich von meiner Umgebung inspirieren – natürlich nicht von den Leuten, denn die sind alle zuhause geblieben. Aber von den Zeitungen, vom Sonnenaufgang hinter dem Napfgebirge, von einer vergangenen Dok-Sendung. Es beginnt zu rumoren. Die Apokalypse des leeren Waggons blende ich geflissentlich aus. Und vom Zugchef werde ich seit Wochen nicht mehr gestört – der sitzt wahrscheinlich ganz vorne im Zug und hat Wichtigeres zu tun.»
Zürich HB, 8.00 Uhr
«Normalerweise räblets hier. Tausende von Pendlern bahnen sich Ihren Weg durch den Bahnhofsdschungel, schubsen, werfen sich böse Blicke zu, drängeln. Es duftet nach Schokolade, frischem Kaffee und Birchermüesli. Heute riecht’s nach Leere. Einzelne Menschen mit Masken vor dem Gesicht durchqueren die riesige Halle. Und an der Tramhaltestelle stehen 4 statt wie normalerweise 400 Personen. Better stay home.»
Radiostudio, 9.00 Uhr
«Ich desinfiziere. Das Pult, das Mikrofon, die Stuhllehne. Alles. Willkommen im SRF Corona-Land. Studiogäste? Denkste. Mitarbeitende – höchstens von weitem irgendwo versteckt. Ein dummer Spruch – von Adi zu Adi vor mich hinbrummelnd.»
Auf Sendung, 10.00 Uhr
«Normalerweise würde der Produzent jetzt eine Fachperson, einen Spezialisten oder einen Betroffenen in die Sendung holen. Jetzt arbeitet Röschu (Name der Redaktion bekannt) von zuhause aus. Heutiges Thema: Krisenfreie Kommunikation in der Familie; Isolation, wie spricht man miteinander, Home Schooling, Singledasein. Ich rede mit einem Psychologen aus dem Spital Interlaken – oder besser er mit mir. Nach der Sendung befasse ich mich mit Themen der nächsten Tage und wechsle innert Minuten vom digitalen Ruck, der durch die Kirche geht über Erektionsstörungen bis zum Rezept von Zwetschgenkuchen nach Grossmuetis Art – ein Gefühlskiosk sondergleichen – inkl. Joe Cocker im Abspann.»
Personalrestaurant, 12.40 Uhr
«Ich sitze an einem Tisch für mich allein. Um mich herum: Gähnendes Nichts. Der Laptop ist während des Essens aufgeklappt – bis vor zwei Wochen hätte ich das nie und nimmer gemacht. Beim Vorbereiten des Gesprächs mit einem Ornithologen bekomme ich fast Vögel.»
Feierabend, 17.00 Uhr
«Reise zurück durch Apokalypsia. Zum Runterfahren ziehe mich mir einen Film rein. Ich lasse den Tag Revue passieren. Mägenwil, Däniken, Rothrist. Als Moderator lege ich grossen Wert darauf, kleine positive Episoden zu erzählen – und erhalte dafür sehr viel gute Resonanz. Das macht mich ein bisschen stolz und ganz fest glücklich.»
Zuhause, 19.00 Uhr
«Geistig bin ich tot, physisch bin ich fit. Ich bin jetzt ein Kletterbaum. Für meine zwei Jungs. Ein Kletterbaum, der notabene auch Geschichten vorlesen kann. Gestern habe ich mit ihnen gerade über das Corona-Virus gesprochen. Sie haben längst realisiert, dass sie 2 Meter Abstand einhalten müssen. Einzig, dass sie ihre Gspänli nicht treffen dürfen, stresst sie.»
Letzte Frage
Adi, du hast einen Wunsch frei…
«Ich wünsche mir ein Lied von Jack Savoretti: „What more can I do“; es macht mich glücklich und bringt mich in Stimmung. Apropos: Kürzlich wünschte sich ein junges Mädchen für ihr Grosi «The Final Countdown» von Europe… Da musste ich unfreiwillig ein bisschen lachen.»