Der Weitsichtige:
Alain Kappeler
2m-abstand.ch: Alle, die in der Schweiz leben, denken in der momentanen Situation in erster Linie verständlicherweise an das Wohlergehen ihrer Liebsten in ihrer nächsten Umgebung. So auch Alain Kappeler, der CEO von SOS Kinderdorf Schweiz – auch wenn er gleichzeitig darauf aufmerksam macht, dass die Ärmsten in der ganzen Welt noch viel stärker betroffen sind vom Corona-Virus; insbesondere die Kinder…
Alain Kappeler war im Hauptsitz von SOS Kinderdorf International in Innsbruck zu Besuch, als der erste Infizierte in Österreich bekanntgegeben wurde. Das war Mitte Februar und das Corona-Virus war in der Schweiz noch nicht angekommen geschweige denn richtig wahrgenommen.
Die Schweizer Niederlassung von SOS Kinderdorf betreut weltweit primär sechs Länder: vier in Afrika, eines in Asien und eines in Zentralamerika. Gerade in Afrika könnte sich die Lage dramatisch zuspitzen. «In Südafrika beispielsweise leben insgesamt 56 Mio. Einwohner – für sie stehen lediglich 1000 Intensivstationsbetten zur Verfügung», weiss Alain Kappeler. Er, der zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich das von der Schweiz betreute SOS-Kinderdorf in Niger hätte besuchen sollen. «Das Virus ist ja noch nicht richtig in Afrika angekommen. Nicht auszudenken, wenn es dort wütet», warnt Kappeler, der sich letztes Jahr auf einer Monitoringreise einen Überblick über die Situation in Lesotho machte. «In Afrika ist Social Distancing aufgrund der beengten Wohnverhältnisse oft extrem schwierig durchzusetzen. Die meisten Gesundheitssysteme sind bereits am Anschlag und es fehlt an technischen und medizinischen Hilfsmitteln. Für viele Kinder aus armen Familien ist die Verpflegung in der Schule zudem die einzige Mahlzeit am Tag. Wenn die Schulen schliessen, leiden sie Hunger», erklärt Kappeler die Situation. Erschwerend kommt hinzu, dass die per se schon Geschwächten (HIV- und Malaria-Infizierte, Unterernährte) auf dem schwarzen Kontinent besonders gefährdet sind.
Zurzeit ist SOS-Kinderdorf noch nicht gross von den Auswirkungen des Virus betroffen, weil die Spenden der vergangenen Monate sich im erwarteten Rahmen bewegen. Kappeler aber befürchtet, dass durch die Konzentration der Aktivitäten auf die Schweiz den weltweit tätigen Hilfswerken ein Einbruch der Spenden droht. Er ruft die Schweizer Bevölkerung auf, auch an die notleidende Bevölkerung in den ärmsten Ländern zu denken, für die SOS-Kinderdorf Schweiz gerade auch eine Corona-Nothilfekampagne ins Leben gerufen hat (www.sos-kinderdorf.ch/corona-krise). Wie alle anderen Betroffenen kann auch er nicht abschätzen, wann wieder Normalität einkehrt und der Wirtschaftsmotor wieder läuft. «Eine Planung ist derzeit nicht möglich», bestätigt der Geschäftsführer von SOS-Kinderdorf Schweiz.
Und trotzdem: Alain Kappeler bleibt optimistisch. «Wenn ich sehe, dass die Glückskette innerhalb von nur einer Woche über 10 Mio. Franken für Projekte in der Schweiz gesammelt hat, macht mir das Mut. Die Leute solidarisieren sich, stehen zusammen und sind auch bereit, für hilfsbedürftige Menschen zu spenden.» Der Seeländer hofft, dass sich durch die Notsituation ein neues Bewusstsein bei den Menschen entwickelt. Mit seiner Institution ist er zurzeit daran, neue Konzepte zu entwickeln. «Wir öffnen neue digitale Kanäle – auch weil wir wissen, dass wir in Zukunft ein neues, jüngeres Publikum ansprechen müssen.»
Apropos Kampagne: Alain Kappeler und sein Team sind momentan mit Hochdruck daran, die geplanten Massnahmen anzupassen. «Die Plakatstellen verfügen momentan über viel zu wenig Frequenz, wir müssen unsere Kanäle überprüfen und auch inhaltlich einiges anpassen.» Kappeler sieht in der Corona-Krise aber auch eine Chance: «Unsere potenziellen Spender haben mehr Zeit, sich unsere Projekte anzuschauen. Und: viele Innovationsthemen werden durch die digitalisierte Arbeitsweise beschleunigt.»
Für Alain Kappeler stellt sich zum Schluss die Frage, wie wir Menschen künftig mit den neuen Gegebenheiten, die das Virus ausgelöst hat, umgehen werden. «Ich glaube und hoffe, dass sich daraus positive Verhaltensänderung ergeben, und dass der neue solidarische Umgang, den wir miteinander pflegen, zur Gewohnheit wird.»
Letzte Frage
Welches ist deine aktuell persönliche Rolle?
«Als Bindeglied zum Stiftungsrat von SOS-Kinderdorf Schweiz koordiniere ich den generellen Kommunikationsfluss. Gemeinsam arbeiten wir an neuen Szenarien und Strategien. Auch beobachte ich die Finanzmärkte und ich versuche unsere Corona-Nothilfekampagne für Kinder und Familien in Not bekannter zu machen.»