Der Zufällige:
Dieter Meier
2m-abstand.ch: Dieter Meier ist Konzeptkünstler, Musiker, Schauspieler und Unternehmer. In erster Linie ist der Zürcher aber ein Freigeist. Einer, der sich ein Leben lang vom Zufall leiten liess. Ein Gespräch über das Corona-Virus, Einsamkeit, Schokolade und Zufälle.
Wo waren Sie, als das Virus bei Ihnen in der Nähe ausbrach?
«In Zürich.»
Wie haben Sie sich in den letzten Wochen verhalten?
«Ich habe mich an die Vorschriften gehalten und versuchte aus der Entschleunigung das Beste zu machen.»
Was war Ihr erster Gedanke nach dem Lockdown?
«Ich habe mich damit abgefunden. Der neue Tages-Rhythmus hat mir viel gebracht, ich habe konzentrierter gearbeitet, wie ein Eremit.»
Was geschieht da gerade mit unserer Welt – haben Sie jemals etwas Einschneidenderes erlebt?
«Nein, noch nie. Diese Pandemie trifft uns wie ein Überfall. Wir sind uns ja lediglich an Grippewellen gewöhnt. Das Problem ist, dass sich unser Immunsystem auf das Virus einschiessen muss.»
Sie gingen ein Leben lang Ihren eigenen persönlichen Weg. Ist diese Krise auch eine Chance, alles zu überdenken und neue Wege zu gehen?
«Ob ich neue Wege gehen werde, weiss ich erst wenn die Pandemie vorbei ist. In Argentinien gehe ich immer wieder neue Wege, zum Beispiel am Rio Negro in Patagonien, wo ich mit Solarenergie das Land bewässere und so gute Resultate erziele mit Walnüssen und Haselnüssen. Ich geniesse dort die Einsamkeit.»
Wie gehen Sie mit den persönlichen Einschränkungen im täglichen Leben um?
«Die Einschränkungen haben mich nicht wirklich gestört, einzig die Restaurant- oder Barbesuch habe ich vermisst weil sich für mich dort „the real life drama“ abspielt.»
Sie leben in Argentinien, Los Angeles, Berlin, Zürich und Ibiza. Wie reagieren Sie, dass Sie zurzeit gefangen in Zürich ausharren müssen?
«Ich hätte an verschiedenen Orten sein müssen, habe aber festgestellt, dass es auch ohne mich geht. Das Virus war für viele Leute eine Katastrophe, ich habe das Glück, dass ich aus dieser Ausnahmesituation etwas lernen konnte.»
Sie sagen immer, ihr Lebensweg habe auch mit Zufall zu tun. Ist das Corona-Virus ebenfalls ein Zufall?
«Aber sicher ist das Coronavirus ein Zu-Fall und ein Überfall, der nicht vorauszusehen war. Mit den Zufällen meines Lebens hat das wenig zu tun, weil mein ganzes Leben ein einziger Zufall ist: Mein erster Spielfilm, die Teilnahme an der Documenta 5, meine Tätigkeit als Feuilletonist bei der NZZ, alles Dinge die auf mich zugekommen sind, die ich dann zu packen versuchte.»
Haben Sie sich schon überlegt, was Sie in Zukunft anders machen wollen nach diesem Erdbeben?
«Überhaupt nicht, die Dinge werden auf mich zukommen, wie zum Beispiel die revolutionäre Methode dank einer Kalt-Extraktion der Kakaobohne eine bedeutend natürlichere Schokolade mit substantiell weniger Zuckergehalt zu produzieren.»
Wie schwierig ist das für Sie persönlich?
«Es ist eine Umstellung und durchaus eigenartig, wenn ich Abstände einhalten muss. Händeschütteln und Umarmungen sind klar ein Verlust, aber ich habe nicht wirklich darunter gelitten, die Distanz hatte auch etwas Komödiantisches.»
Haben Sie mal daran gedacht, einen Gang zurückzuschalten und sich zurückzuziehen?
«Nein, etwas Neues zu entdecken, neue Wege zu gehen ist für mich ein Lebenselixier, zu vergleichen mit dem Bergsteiger, der immer wieder neue Routen entdecken will. Wenn etwas nicht klappt, kann man daraus sehr viel lernen.»
Ganz zum Schluss haben Sie einen Wunsch frei...
«Mein utopischer Wunsch wäre ein totaler Paradigmawechsel des Homo- hoffentlich-irgendwann-Sapiens. Wenn man den Irrsinn betrachtet, den der Kapitalismus auslöst (andere Systeme sind noch schlimmer), könnte man traurig und wahnsinnig werden. Das einzige Agens des Kapitalismus ist die unbedingte Rentabilität des Kapitals. Ob die Welt dabei untergeht, ist diesem System genauso egal wie den Coronaviren. Marx hat den Kapitalismus als zweite Natur bezeichnet, der wir ohnmächtig ausgeliefert sind.»
Letzte Frage
Sie produzierten ja mit Yello in den 1980er-Jahren den Riesenhit «Oh Yeah» – wie ist das eigentlich genau entstanden?
«Ausnahmsweise konnte ich mit diesem wunderbaren Klanggebilde von Boris Blank als Sänger und Texter nichts anfangen. Boris beschrieb mir dann die Stimmung dieses Stückes: «Stell dir vor, du sitzt an einem Strand in Tahiti, eine rote Sonne versinkt im Meer und zu einem leichten Lüftchen wird dir ein eiskaltes Bier serviert. Wie würdest du auf diese Situation reagieren?“ ’Ohhh Yeahh, würd’ ich vor mich hinsagen, the sun beautiful, the moon even more beautiful.“ Der minimalistischste Song der Popgeschichte, unbedingte Zufriedenheit mit diesem Augenblick bei untergehender Sonne.»