2 Meter Abstand

Die Ausreisserin:
Michelle Gisin

Michelle Gisin 2m Abstand

2m-abstand.ch: Sie würde am liebsten jetzt noch auf den Brettern stehen. Sie bezeichnet sich selbst als die Angefressene. Und sie riecht den ersten Schnee schon von weitem: Skirennfahrerin Michelle Gisin ist Frohnatur und Energiebündel in einem. 2m-abstand.ch erzählt sie von ihrer Corona-Odyssee.

Im Startgelände
Michelle Gisin befand sich im schwedischen Åre, als das Corona-Virus quer durch Europa wütete und alles lahmlegte. Als die Rennen schliesslich abgesagt wurden, flog sie zurück in die Schweiz und machte Halt bei ihren Eltern in Engelberg. «Ich wollte kurz darauf zum meinem Freund Luca an den Gardasee weiterreisen – hier wohne ich im Frühling und im Sommer. Ich versuchte noch, über die Grenzen zu kommen, aber da war es schon zu spät.» So fuhr sie zurück nach Engelberg. Ihren Freund Luca sah danach sie für zwei Monate nicht mehr. Erst vor kurzem schliesslich schaffte sie endlich den Sprung in ihre Wahlheimat.

Aus dem Starthäuschen
Am Morgen Beine, am Nachmittag Rumpftraining. Zusammen mit ihrem Freund, dem italienischen Riesenslalom-Spezialisten Luca de Aliprandini, absolviert sie momentan ihr tägliches Kraft- und Ausdauerprogramm. Endlich ist sie wieder mit ihm vereint. «Die Zeit ohne Luca war schwierig. Jetzt können wir endlich zusammenleben und gleich noch gemeinsam trainieren.» Doch am liebsten würde Michelle Gisin auch jetzt noch auf den Brettern stehen. «Ich habe schnell wieder das Reissen. Mehr als ein, zwei Wochen Strand sind nichts für mich. Dass mein Winter normalerweise von August bis Mai dauert, stört mich kein bisschen.»

Michelle Gisin 2m Abstand

Erste Zwischenzeit
Mit ihren Eltern und ihren Geschwistern Dominique und Marc verbrachte sie ihre gesamte Kindheit auf den Brettern. «Ich bin ein Bergkind und habe das Gefühl, den ersten Schnee zu riechen, bevor er kommt. Wenn es dann soweit ist, schaue ich stets ganz fasziniert aus dem Fenster und freue mich wie ein kleines Kind, wenn die ersten Flocken dann auch wirklich fallen.» Die Begeisterung für den Wintersport hat sie von ihren Eltern und ihrem Grossvater geerbt. «Er ist wirklich beeindruckend; mit 75 Jahren fuhr er einst an einem Tag im Skigebiet von Andermatt sagenhafte 16-mal vom fast 3000 m hohen Gemsstock bis hinunter ins Dorf… »

Zweite Zwischenzeit
Kein Wunder, wurde die ganze Familie Gisin mit dem Ski-Virus infiziert. Und trotzdem: Michelle Gisin hatte für ihr Leben stets auch einen Plan B und sogar einen Plan C auf Lager. «Plan A heisst, so lange und schnell wie möglich Ski zu fahren. Und vor allem so lange, wie ich glücklich bin. Plan B hätte ich in die Tat umgesetzt, wenn es mir nicht zur beständigen Rennfahrerin gereicht hätte: Als ich 20 war, wollte ich Medizin studieren.» Doch damit nicht genug, denn Michelle Gisin hat nicht nur viele Interessen, sondern ebenso zahlreiche Begabungen. «Ich kann mir gut vorstellen, dass ich nach meiner Skikarriere noch mit einem Studium beginne. Ob etwas mit Sprachen, Physiotherapie oder Naturwissenschaften spielt keine Rolle – letzteres ist mein aktueller Favorit.»

Zieleinfahrt
In der Familie Gisin wird sowieso auf vielen Hochzeiten getanzt. Schwester Dominique wurde nach ihrer erfolgreichen Aktivkarriere Geschäftsführerin der Schweizer Sporthilfe – ausserdem ist sie regelmässig als Pilotin unterwegs. Bruder Marc ist ebenfalls Skirennfahrer, legte aber im Januar eine Pause ein, nachdem er vor zwei Jahren einen schweren Sturz hatte. Michelle Gisin ihrerseits ist für verschiedene Firmen als Botschafterin unterwegs und hält zusammen mit ihrer Schwester und ihrem Mentalcoach Chris Marcolli Vorträge. «Bei der Auswahl meiner Sponsoren bin ich sehr wählerisch. Sie müssen zu 100 Prozent zu mir passen.» Aus diesem Grund managt sich die Engelbergerin denn auch gleich selbst. So kann sie ihre Engagements steuern. «Meine freie Zeit ist mir heilig, ich will selbst entscheiden, was mir gefällt – und was nicht.»

Letzte Frage

Welche Gedanken hast du dir während der Corona-Zeit gemacht?

«Ich möchte nachhaltiger leben – das ist in meinem Beruf zwar schwierig, weil ich viel herumreise. Aber ich bin Botschafterin von «Protect our Winters» und versuche so gut ich kann, meinen Beitrag für eine gesunde Umwelt zu leisten. Während der ausserordentlichen Corona-Zeit habe auch die Ruhe und Stille für mich entdeckt. Und dass man nicht immer von A nach B rennen muss.»