2 Meter Abstand

Die Dirigentin:
Livia Richard

Livia Richard

Ihre Buchvernissage findet nur online statt. Ihr Sommertheater auf dem Gurten hängt in der Schwebe. Trotzdem lässt sich die Berner Regisseurin Livia Anne Richard alles andere als unterkriegen und sagt dem Negativismus den Kampf an. Ein Appell.

«Ich erinnere mich noch, als das Virus die Schweiz erreichte. Es war an meinem Geburtstag am 24. Februar, als der erste Fall in der Schweiz vermeldet wurde. Danach gings ruckzuck. Und kurz darauf kippte die Stimmung im ganzen Land. Es gab nur noch eine Zeit VOR und NACH Corona.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man verkriecht sich im Negativen und bläst Trübsal. Oder man hält inne und entscheidet sich für das Gute. In der Welt draussen mussten sich alle von einem Moment auf den anderen umstellen. Home Office, Entschleunigung, endlich wieder vermehrt Gespräche mit Tiefgang, Einkehr, die Konzentration auf das Wichtige im Leben. Leute überlegen sich plötzlich, welchen Fussabdruck sie auf der Erde hinterlassen wollen. Eines Tages entdeckte ich in meinem Garten ein balzendes Rotbrustkehlchen – das hatte ich vorher noch nie gesehen.

Der Tag, an dem ich meine Mitarbeitenden nach Hause schicken musste, erlebte ich wie in einem Vakuum. Der laufende Probebetrieb wurde wie aus dem Nichts unterbrochen. Mein Körper rannte noch, mein Geist sagte, dass ich mich hinsetzen soll. Am Morgen danach erwachte ich und dachte: Was ist heute? Doch heute war nichts.

Ich berühre gerne Menschen, umarme und küsse sie. Und jetzt: 2 Meter Abstand.

Mir fehlt dieser Anfang- und Schlusspunkt einer Begegnung. Gleichzeitig fasziniert mich, wie schnell man sich daran gewöhnt. Leute wechseln plötzlich die Strassenseite. Was gestern als unhöflich galt, ist heute anständig. Das hat etwas Surreales.

Zum grossen Glück kann ich alleine sein. Weil ich mich selbst gut aushalte. Ich habe lernen müssen, mich selber als Freund zu sehen. Das geht nicht anders, denn wenn ich Theaterstücke oder an meinen Romanen schreibe, ziehe ich mich zurück, brauche meine absolute Ruhe. Und trotzdem fühle ich mich nie einsam. Mit den heutigen Kommunikationsmitteln ist man ja zudem im Nu mit all seinen Liebsten verbunden.

Zurzeit signiere ich meine Bücher und verschicke sie persönlich an die Leute. Gestern Abend haben wir meine Online-Buchlesung gefilmt, sie wird am 30.3. auf Social Media gestellt. Am 30.3. hätte die Buchvernissage vor vollem Haus im Stauffacher Bern stattgefunden. Man muss erfinderisch sein... Normalerweise habe ich bei Auftritten immer ein Vis-à-Vis – das fehlte mir, von der Kamera kommt ja keine Resonanz. In meinem Roman «Anna der Indianer lege ich auch ein bisschen meine Seele aufs Tapet – es beinhaltet durchaus autobiografische Züge. Die Leute schätzen es sehr, dass ich ihr Buch signiere und mir Zeit für ein paar persönliche Worte nehme.

Was wir aus dieser Krise machen, hängt auch davon ab, wie lange sie dauert. Wenn ab 19. April alles wieder seinen Courant normal nimmt, dann sind die Chancen, dass wir wieder ins alte Fahrwasser zurückfallen gross. Ich denke aber, dass wir noch mehr Zeit geschenkt bekommen und dadurch auch nachhaltig etwas verändern können.

Wenn es dann wieder los geht, wird das hoffentlich häppchenweise passieren. Vielleicht gewöhnen wir uns so langsam wieder an die Normalität ohne gerade auf den Putz zu hauen. Und werden zu selbstverantwortlichen Menschen, bei denen das Ego ein bisschen in den Hintergrund rückt.»

Letzte Frage

Was nimmst du mit aus der Krise?

«Vielleicht die Gewissheit, dass ich ein einfaches Leben im Kreise meiner Familie und mit meinen engsten Freunden führen kann. Und dass dies schon viel von dem ist, was mich glücklich macht.»